Auf den Tag 35 Jahre ist es her, dass Thomas und ich uns beim größten Tischtennis-Turnier Europas in Esbjerg/Dänemark im Finale gegenüber standen. Da nach 2020 auch in diesem Jahr die WM der Senioren in Bordeaux wegen Corona ausfallen muss und hier schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr etwas Positives gebloggt wurde, trösten wir uns mit diesem kleinen Rückblick zu den Anfängen unserer internationalen TT-Vergangenheit.
Tischtennis-WG in Göttingen
Thomas Huck – vor seiner Hochzeit mit Karin und mir als Trauzeuge hieß er noch Soluk – und ich kennen uns seit über 40 Jahren. Nach gemeinsamen Erfolgen im TT-Doppel bei u. a. Landesmeisterschaften der Jugend gründeten wir 1985 in Göttingen eine Tischtennis-WG und starteten gemeinsam unser BWL-Studium. Wir spielten zwar für verschiedene Vereine, hatten aber ein gemeinsames Ziel: Europas größtes TT-Turnier in Esbjerg.
Für das vom 2. bis 4. Mai 1986 laufende internationale Turnier mit über 1.500 Startern in drei benachbarten Hallen an 60 Tischen war der Meldeschluss bereits Monate vorher. Auch das Startgeld musste per Einzahlung beim Postamt rechtzeitig gezahlt werden. Zur Erinnerung: Das Internet wurde für solche Dinge erst über 10 Jahre später genutzt. Im April steckte das über 100 Seiten starke Programmheft (Titelbild) dann mit Auslosungen und Zeitplänen aller Konkurrenzen in unserem Göttinger Briefkasten.
Wolfsburg, Hamburg, Esbjerg
Für den Abend des 3. Mai war unsere Runde 1 in Esbjerg angesetzt. Zur Vorbereitung diente uns ein Turnier des TSV Wolfsburg, das traditionell am 1. Mai im Vorgabemodus und doppelten K.O.-System ausgetragen wurde. Als Spieler recht hoher Ligen mussten wir unseren Gegnern teilweise pro Satz bis zu 12 Punkte Vorsprung geben. Zur Erinnerung: Die Spiele gingen damals über zwei Gewinnsätze bis 21 und es wurde mit 38mm-Bällen aus Zelluloid statt wie heute in drei Gewinnsätzen bis 11 mit 40er Plastikbällen gespielt.
Nach einem langen Turniertag mit Silber für uns im gemeinsamen Doppel und Bronze für mich im Einzel ging es am nächsten Tag von Thomas‘ Heimat Wolfsburg mangels eigenem Auto „per Daumen“ Richtung Dänemark. Da auf dem Weg keine Unterkunft geplant und auch die studentische Reisekasse knapp war, wurde die Nacht in Hamburg durchgemacht, bevor es am Samstag, 3. Mai sehr früh weiter Richtung Norden ging.
Ankunft in letzter Minute
So langsam stellte sich unsere Planung als zu offensiv heraus. Tramper waren schließlich auf die Gunst vorbeifahrender Autofahrer angewiesen. Da sich diese nicht immer einstellte, legten wir die letzte Etappe in Dänemark per Zug zurück. Am Esbjerger Bahnhof um 17:30 angekommen, half nur noch ein Taxi zum rechtzeitigen Erreichen der Esbjerger Sporthallen. Und so standen wir „just in time“ um 18:20 Uhr unseren ersten Gegnern gegenüber.
Nach abenteuerlicher Anreise mit ausgeprägtem Schlafdefizit liefen nach einer „wackeligen“ Runde 1 auch die weiteren Spiele um 20:20, 21:40 und 22:00 Uhr zäh, am Ende aber erfolgreich. Nach vier Runden hatten wir gerade mal die besten 64 des 1.024er (=210) K.O.-Feldes erreicht – damit das größte Teilnehmerfeld eines europäischen TT-Turniers aller Zeiten! Anschließend ging es im kräfteraubenden 30-Minuten-Rhythmus weiter.
Runde 9: Halbfinale
Inzwischen war ein neuer Tag, der 4. Mai angebrochen und wir hatten es nach vier weiteren bzw. insgesamt acht erfolgreichen Runden tatsächlich beide ins Halbfinale geschafft. Unfassbar nach den Strapazen der Anreise und mit zwei Turnieren in den Knochen. Da wir fälschlicherweise beide unter meinem damaligen Verein „TSV Thiede“ gelistet wurden, meinte es die Auslosung gut mit uns, steckte uns in zwei verschiedene Hälften des Starterfeldes und somit im HF nicht gegen einander. Hier standen Thomas und ich dann aber vor unlösbaren Aufgaben. Eigentlich …
Während Thomas im Entscheidungssatz beim Seitenwechsel gegen einen schwedischen Abwehrspieler bereits 10:3 hinten lag, hatte ich es mit der „Legende“ Ralf-Peter Streich(†) zu tun, den ich von Turnieren in Deutschland kannte und der aufgrund seines Materials und seiner unorthodoxen Spielweise als Angstgegner diverser Spieler bis zur 1. Bundesliga galt. Im vielleicht besten Spiel meines Lebens kam ich mit „19 im Dritten“ zum unerwarteten Sieg und auch Thomas drehte sein Halbfinale noch.
Finale: Soluk gegen Wode
Das Wunder von Bern … äääh Esbjerg war perfekt! Gegen 2:00 Uhr nachts in Runde 10(!) des internationalen Turniers von Esbjerg 1986 hieß das Finale der Herren Klasse 1: Thomas Soluk – Peter Wode. Unfassbar, das hätten wir uns beide nie träumen lassen. Ich erinnere mich auch nach 35 Jahren noch gut an die Endphase des ersten Satzes, in dem ich mit 19:16 führte, dann aber mit 19:21 und anschließend auch Satz 2 verlor. Schade … es war in dem Moment unter uns Freunden und nach Anreise und Turnierverlauf aber fast egal, wer das Ding gewinnt. Glückwunsch nochmal an Thomas!
Unsere schlechte Vorbereitung zog weitere Kreise: Gegen 3:00 nachts war’s nach der heißen Dusche mal Zeit für ne Mütze Schlaf. Nur wo ohne Unterkunft oder Zelt? Diese standen – übrigens acht Tage nach dem GAU von Tschernobyl – vermehrt auf der Wiese vor der Sporthalle und ein Lagerfeuer brannte trotz fortgeschrittener Uhrzeit. „Wart ihr zwei nicht grad im Finale?“ fragten uns zwei Wachgebliebene. „Setzt euch zu uns!“. Nach einem gemeinsamen Bierchen fanden sich für uns sogar noch zwei Schlafplätze in den Zelten.
1986: Ein wegweisendes Jahr
Unvergessliche Tage, ein unvergessliches Erlebnis. Leider existiert nicht ein einziges Foto. Das Schwarz-Weiß-Foto (oben) ist ein Archivbild aus dem Göttinger Tageblatt der Deutschen Hochschulmeisterschaft 1987. Das Blog-Titelfoto mit 13 Programmheften, die ich aus 19 Turnierteilnahmen von 1986 bis 2004 noch gefunden hab, entstand heute. Digitalkameras oder Smartphones, die per Film und Foto alles dokumentieren, wurden erst Jahrzehnte später erfunden. Nicht mal einfache Handys hatte man 1986.
Kurz nach dem Esbjerger Turnier klopfte der ESV Jahn Kassel mit einem Angebot für die 2. Bundesliga an unsere Türen. Die Chance, dass Thomas und ich mal für den gleichen Verein an die Tische gehen. Das gab’s trotz unserer langen Freundschaft bis heute leider nie. Auch spielten wir nie danach in einer höheren Liga. Thomas ergriff die Gelegenheit, ich sagte dankend ab, weil ich kurz zuvor einem ähnlich attraktiven Angebot des TSV Salzgitter für die 3. Liga (hieß damals Oberliga) im oberen Paarkreuz bereits zugesagt hatte.
19-jährige Dänemark-Tradition
Unsere Esbjerg-Premiere war der Startschuss zu einer Tradition, die jedes Jahr immer mehr unserer Tischtennis-begeisterten Freunde nach Dänemark zog und zwei Jahrzehnte andauern sollte. Im Folgejahr „knackten“ Thomas und ich ein Doppel mit dem dänischen Meister Jan Harkamp, holten Bronze im Elite-Doppel und kassierten im Halbfinale gegen die siebenfachen Weltmeister Liang Geliang und Jaroslav Kunz mit 6:21 und 7:21 die höchste Niederlage unserer Doppel-Karriere, die uns 31 Jahre später bei der WM 2018 in Las Vegas im Achtelfinale wiederum gegen mehrfache Weltmeister (siehe unten) führte.
In den Folgejahren des Esbjerger Turniers suchten wir uns Unterkünfte im 35 km entfernten Blåvand und bewohnten dort jedes Jahr Anfang Mai bis zu sechs Ferienhäuser mit bis zu 50 Freunden, die später teilweise weder beim Turnier in Esbjerg noch überhaupt Tischtennis spielten. Grund dafür war sicher auch der von Jahr zu Jahr wachsende Komfort unserer Häuser. Dazu gehörten am Ende neben einer Sauna auch ein Whirl- und Indoor-Pool.
2005 kam leider mangels ehrenamtlicher Helfer das Aus des legendären Mammut-Turniers, das übrigens – da schließt sich der Kreis – die letzten Jahre mit meiner Turniersoftware inkl. Online-Anmeldung organisiert wurde. In den 19 Jahren seit 1986 habe ich kein Turnier ausgelassen. Anfang der 90er unterbrach ich die Esbjerger Turniertage sogar mit einer 1.200km-Fahrt von Blåvand über Flensburg (mit Olafs Auto) nach Göttingen (per Zug) für 24 Stunden, um an der Uni Göttingen feierlich mein BWL-Diplom in Empfang zu nehmen.
Fortsetzung bei Ü40-WM
Der „harte Kern“ der vielen tollen Jahre Esbjerg/Blåvand startete nach 12 Jahren internationaler Pause erstmals wieder bei der Senioren-WM 2016 in Alicante. Es folgten die EM in Helsingborg, die WM in Las Vegas sowie zuletzt die EM in Budapest. Auch diese Tradition wurde 2020 und 2021 unterbrochen … und hoffentlich nicht beendet. Nach zunächst Verschiebung und später Absage der WM in Bordeaux wegen Corona drücken wir die Daumen, dass 2022 eine EM stattfindet, bei der unser Team mit Thomas und mir im Doppel wieder am Start sein kann.
Nachdem der ursprüngliche Gastgeber Cardiff das Turnier vor kurzem wegen Corona an die ETTU zurückgegeben hat, läuft die Suche nach einem Ausrichter für die EM 2022. Fest steht dieser dagegen mit Sandefjord/Norwegen für die EM im Juni 2023. Im gleichen Jahr im Januar soll die WM in Muscat/Oman laufen. Ob es schlau war, die zwei wichtigsten internationalen Turniere in ein Jahr mit nur fünf Monaten Abstand zu legen? Da werden sich viele auch unseres Teams für nur eins und vermutlich Sandefjord entscheiden.
Nachtrag 07.06.2021: Die Entscheidung für den Austragungsort der EM 2022 ist gefallen. Es ist … Trommelwirbel … Rimini an Italiens Adriaküste, wie der DTTB heute berichtet! Da kommen Sommer-Sonne-Strand-Erinnerungen an unsere Premiere 2016 in Alicante auf.
Nachtrag 06.10.2021: Die Anmeldung für Rimini ist inzwischen möglich und bis zum 31.12.2021 gilt das „Early-Bird-Startgeld“ von 185,- €.
Wales hat Ausrichtung zurückgegeben und schon abgesagt für 2022. jetzt evtl. Dänemark oder Kroatien im Gespräch….
Vielen Dank, Beate! Hab die Info als Update in meinen BlogPost eingebaut.
Peter, dass hast du wirklich sehr gut und geschrieben. Sehr interessant und mitreißend. Und… nicht zuletzt bin ich richtig neidisch auf dieses tolle Abenteuer. Bestimmt kommen in der Zukunft noch einige Episoden hinzu und wir dürfen irgendwann die Fortsetzung lesen. Ich freue mich jetzt schon drauf. Lg Stefan
Vielen Dank, Stefan! Freut mich, dass mein nostalgischer Bericht dir gefallen hat :o) Wir kennen uns nicht, oder? Keine Angst, hier wird weiter gebloggt bis ich nur noch an den TT-Tisch kriechen kann ;o)
Hi Pedder,
nochmals Danke für diese tolle Erinnerung. Was war das für ein Erlebnis! Ein besonderes Highlight von vielen verrückten Aktionen, die wir auf unserem langen Weg gemeinsam erleben durften.
Freue mich auf hoffentlich noch viele gemeinsame Doppel.
Danke für Deine Freundschaft.